HINTER DEM FLEISCH DA WOHNEN DIE KNOCHEN
- by Brigitte Windt
- in Bild Text Wort
- posted Oktober 8, 2024
Nachlese zur Ausstellung CARNE VALE – HINTER DEM FLEISCH DA WOHNEN DIE KNOCHEN
Es ist abgehängt! Wie immer verbunden mit ein wenig Wehmut, wenn eine Ausstellung ihre Zeit erfüllt hat. Ein Weitergehen. Ein Fortschreiten zum nächsten Werden. Loslassen von einer gemeinsamen Wegstrecke und reich beschenkt frei sein für das Jetzt und das Morgen.
Ich darf hier wohl sagen, dass wir als S9KOLLEKTIV dankbar sind für die neuen Erfahrungen und für die hervorragend koordinierte und unterstützende Kooperation mit der Kulturfabrik Moabit und die damit verbundenen Raumerlebnisse über zwei Etagen.
Mein Dank geht auch an Dich für Deinen Besuch, Dein Dasein und die feinen Gespräche.
Die thematische Auseinandersetzung ist jede :r von uns auf spezifische künstlerische Weise angegangen. Das Ergebnis war divers und vielschichtig. Das macht uns aus. Vielfalt ist unsere Stärke und bedeutet intern gegenseitige Befruchtung. So hoffe ich, Du hattest Freude an und mit den unterschiedlichen Formaten wie Videoinstallation und Sound Art, Indie-Game, Illuminationen im Kubus, Gesang, Musik und Konzert, Poesie und Lesung, Zeichnung, Malerei, Collage, Objekt, Druck, Webkunst und Tischtheater. Einige von uns waren mit verschiedenen Arbeiten im Stephans und in der Kulturfabrik präsent.
HINTER DEM FLEISCH DA WOHNEN DIE KNOCHEN
HINTER DEM FLEISCH DA WOHNEN DIE KNOCHEN wurde mein persönlicher Arbeitstitel zu CARNE VALE. Neben den Collagen, Objekten und Drucken sind zu neun Werken Texte entstanden, die ich gemeinsam mit den Arbeiten gedruckt, zu einem kleinen Buch gebunden und gelesen habe. Im Folgenden kannst Du einen Ausschnitt, heißt die Einführung zur poetischen Führung, nachlesen und ein wenig am Schaffensprozess teilhaben.
Einführung zur poetischen Führung meiner Collagen, CollageObjekte und Drucke
FLEISCH Arbeitstitel des diesjährigen Ortstermins. Das S9KOLLEKTIV antwortet einstimmig mit CARNE VALE Fleisch, lebe wohl! Wie von Geisterhand gesät, über Jahrzehnte gekeimt, gewachsen, radikal und hartnäckig verwurzelt, laufen Medienbilder, ja ganze Filme, ab in den Köpfen der Künstler:innen. Rufen Abneigung, Schauer und Ekel hervor. Fleisch, mehr als ein Wort! Begriff, zum Symbolträger stilisiert für Ausbeutung und Missbrauch. Zum degradierten wie hochgelobten Produkt einer zum Aussterben geweihten Konsumgesellschaft.
Trotz Abschiedsverkündung des Kollektivs, das Fleisch bleibt. Bleibt im Kopf, treibt Emotionen an. Reproduziert sich unermüdlich im Geist. Wird faktisch industriell produziert, gekauft, gebraten, gegessen.
Stopp!
Dieses Fleisch will ich so nicht in meinem Kopf! Schließlich gibt es andere Arten, Fruchtfleisch zum Beispiel oder Menschenfleisch, ein Zuviel oder Zuwenig davon. Schnell entdecke ich, dass es mir leichter fällt, das Fleischthema ganz sein zu lassen. Ich mag Köpfe und ihre Gesichter. Da liegt es nahe zu fragen: Was liegt dahinter? Und bald darauf antworten zu können: Hinterm Fleisch und seinem Gesicht, da wohnen die Knochen! So kam ich dazu, meine Aufmerksamkeit dem menschlichen Schädel zu widmen.
Aber dann …!
An jenem Tag X packte es mich. Das Geflügel. Gegrillt wars, das halbe Hähnchen aus der Markthalle. Ich aß. Es schmeckte. Manchmal überkommt mich diese Schwäche. Und dann gebe ich ihr nach. Ich kann mir das verzeihen. Ein bisschen. Der Beigeschmack wohnt hinter dem Genuss. Am Ende verlas ich seine Knochen, wässerte und putzte sie rein. Wie mein schlechtes Gewissen. Die Knochen nahm ich mit in die Vorbereitungen von CARNE VALE. Ließ sie Teil werden von Pappschädeln hinter neuen Gesichtern.
